Lust und Last im Nationalmuseum

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Karsten
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Lust und Last im Nationalmuseum

Beitrag von Karsten »

„Lust und Last“ ist der provokante Titel der jüngsten Ausstellung im Stockholmer Nationalmuseum. Über 200 Werke vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit sollen dokumentieren, wie sich unsere Sicht zum Thema Sexualität, Tugend und Moral verändert hat. Die Ausstellung bedient sich dabei hauptsächlich der wohlgefüllten eigenen Magazine. Im Zentrum steht ganz klar die männliche Perspektive.

"Lust und Last"
Wer die Lust als Urkraft, Libido, Trieb, Sehnsucht, Begehren oder pornographisches Erlebnis im Nationalmuseum sucht, wird enttäuscht werden. Den Ausstellern geht es mehr darum, die Entwicklung der Betrachtungsweise durch die Jahrhunderte zu dokumentieren, wie Eva-Lena Bergström vom Nationalmuseum erklärt: „Die Ausstellung heißt Lust und Last. Wir zeigen wie sich das Verhältnis und die Grenzen um das Thema Erotik und Moral verändert haben.“

Deswegen wird der Ausstellungsbesucher auch gleich mit dem Begriff der Tugend konfrontiert. Um zum ersten Saal der Ausstellung auf der zweiten Etage des stattlichen Nationalmuseumsgebäudes zu gelangen, muss man erst einmal an staatstragenden Gemälden von Carl Larsson und Gustaf Cederström vorbeiarbeiten. Dann warten für das Auge des heutigen Betrachters doch recht unschuldig wirkende Gemälde aus dem 16. und 17. Jahrhundert, konfrontiert mit einem riesigen Poster eines weiblichen Hintern der Neuzeit.

Trotz des roten Ambientes wirkt das Ganze immer noch sehr keusch und wenig provozierend – was auch die Absicht der Aussteller ist, so Eva-Lena Bergström: „Unsere Ausstellung ist weder Sensationsmache noch Porno. Wir wollen zeigen, wie sich die Einstellung zu Nacktheit und die Grenzen der Moral über die Jahrhunderte verändert hat. Und dadurch wollen wir ein tieferes Verständnis für diese musealen Ausstellungsgegenstände, die wir hier sehen, schaffen.“

Überfüllte Magazine

Das Nationalmuseum hat Probleme mit den Magazinen. Sie sind übervoll. Da lag wohl der Schluss nahe, sie einmal zu durchlüften und eben alles Nackte zu zeigen. Eva-Lena Bergström über die Auswahl der Werke: „Diese Ausstellung baut hauptsächlich auf die eigenen Sammlungen des Nationalmuseums. Wir wollten hier die Breite unserer Sammlungen dokumentieren. Deshalb sind Malerei aus dem 16. Jahrhundert, Kunsthandwerk und Design bis in die Modernere zu sehen. Das ergibt eine Spannweite von fünf Jahrhunderten. Dann haben wir die Ausstellung mit Werken von noch lebenden Künstlern durch einige Leihgaben befreundeter Museen in Schweden komplettiert.“

Sex verkauft sich eben gut, sollte man jetzt meinen. Doch die Ausstellungsmacher haben sich der Tugend und ihres Bildungsauftrages besonnen und richten den Blick auf die Verschämtheit und moralische Normen.

Der erste Saal, mit vielen Werken aus der Renaissance und dem Barock dokumentiert mit vielen weiblichen Rundungen, wie die Kunst vom männlichen Blick dominiert war und dass der Mangel an Bekleidung immer einer Rechtfertigung bedurfte, so Eva-Lena Bergström: „In der Kunst ist Nacktheit häufig problematisch. Nacktheit wurde in der christlichen Welt immer mit Sex und Sünde verknüpft. Aber die Künstler durften sich erotischer Motive bedienen, wenn sie dies ausreichend durch Bezugnahme beispielsweise auf mythologische oder biblische Themen legitimieren konnten.“

Verschlungene Körper, Liebespaare, weibliche Akte – das Nationalmuseum ruft das Repertoire der abendländischen Kunst ab. Eva-Lena Bergström über die Entwicklung: „Viel von dieser Malerei aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert ist sehr sinnlich. Dies wird durch die mythologischen und biblischen Erzählungen kaschiert. So dominierten im 16. und 17. Jahrhundert die moralischen Untertöne. Im 18. Jahrhundert hat man sich davon etwas befreit. Während im 19. Jahrhundert dies plötzlich wieder problematisch wird. Man will das Sexuelle verbergen. Man bringt Feigenblätter vor Geschlechtsteilen antiker Skulpturen an. Wenn Sexualität ohne moralischen Unterton präsentiert wird, provoziert sie.“

Stadt als Arena der Lust

Die Ausstellung geht vom Allgemeinen ins Öffentliche. Der zweite Saal beschäftigt sich mit der Stadt als Arena für die Lust. Am interessantesten aber ist dann doch der dritte – der so genannte klandestine Saal. Heute würde man wohl Privatsphäre dazu sagen, wohin ja häufig die Lust und ihre Ausübung im richtigen Leben gehören, aber nicht in der Kunst.

Kunst will ja meist Öffentlichkeit. Der hier gezeigte Briefwechsel von Johan Tobias Sergel und Carl August Ehrensvärd bildet dabei die Ausnahme. Er war mit seinen stark pornographischen Skizzen und Zeichnungen für private Augen bestimmt, wie Eva-Lena Bergström erklärt: „Teile des Materials von Sergel und Ehrensvärd waren bisher für die Öffentlichkeit unzugänglich. Es war ja ursprünglich nicht dafür vorgesehen. Es handelt sich um einen intimen persönlichen Briefwechsel zwischen den Künstlern. Dabei sind Karikaturen und Zerrbilder aus dem nächsten Freundschafts- und Bekanntenkreis, wie König Gustav III. Das kam in den Besitz des Museums und wurde in einer besonderen Abteilung aufbewahrt.“

Blick ins Private

So bietet die Ausstellung doch noch so etwas wie eine kleine Sensation. Den Blick ins private, wo offensichtlich den Hormonen freier Lauf gelassen wurde. Tugend und Vernunft nach außen – Lust als Privatsache. Hat sich tatsächlich so viel oder doch so wenig verändert? Einiges schon, so Eva-Lena Bergström: „Das ältere Material der Ausstellung spiegelt sehr deutlich wieder, dass es sich hier um Malerei und Kunst aus einer männlichen Sicht für die Blicke von Männern handelt. Mit den zeitgenössischen Beiträgen wollten wir versuchen, diese traditionelle Perspektive aufzubrechen.“

Was macht die Lust mit uns – egal ob Männer oder Frauen? Die Ausstellung des Nationalmuseums lässt diese Frage unbeantwortet. Sie gibt aber Hinweise wie unterschiedlich sich Denkweisen und Auffassungen von Moral und Tugend in der Kunst durch die Jahrhunderte widerspiegeln.

Die Ausstellung ist bis zum 14. August im Stockholmer Nationalmuseum zu sehen.

(Quelle: Radio Schweden)
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