Ganzer Text: http://www.taz.de/!114714/( ... ) Viveca Sten, geboren 1959, verbringt die Sommer seit ihrer Kindheit auf Sandhamn. Seit 1917 besitzt ihre Familie ein Haus auf der Insel, auf der im Winter nur 110 Menschen leben, von Mittsommer bis Mitte August sind es 3.000, dazu bevölkern Tausende Tagestouristen die Insel. Außerhalb der Saison ist es ein idealer Ort, um Ruhe fürs Schreiben zu finden.
Dann geht die Autorin, die sonst mit ihrem Mann und den drei Kindern im Norden von Stockholm wohnt, manchmal über den Inselfriedhof und klaut ein paar Namen von den Grabsteinen – für die Protagonisten in ihrem Buch. Oder sie misst Distanzen aus, sammelt im „Värdshus“, dem Insel-Pub, Geschichten oder erkundet die Nebeninsel Korsö, militärisches Sperrgebiet, mithilfe einer Sondergenehmigung.
Dort spielt „Mörderische Schärennächte“. Das Verbotene der Insel, auf der in den siebziger Jahren die Eliteeinheiten der Küstenjäger eine überaus brutale Ausbildung durchlaufen mussten, hat Sten angelockt. Von Drill und Sadismus in dieser Zeit – und den Nachwirkungen ins Heute – handelt der vierte Teil der Krimireihe, es gibt Leiche um Leiche und doch geht es bei Viveca Sten um mehr. Ihre Mörder sind Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen zu Tätern werden. Und in ihren Werken findet sich nicht die große Sozialstaatskritik wie in so vielen der Schwedenkrimis, sondern eher der Blick ins Kleine, in die Familie: Wie funktioniert das mit Mann und Frau und Kindern und Karriere?
Ihre Leser, so sagt Viveca Sten, interessierten sich mindestens genauso für das Privatleben des Kommissars Thomas und seiner Schulfreundin Nora, die ihm bei den Ermittlungen hilft, wie für die Verbrechen. Wie kommt Thomas mit dem Tod seiner kleinen Tochter und der Scheidung klar, wie geht es mit Noras Ehe weiter? Ein sympathischer Kommissar, allein das schon ist selten im Krimigenre. „Ich hatte diese mittelalten Polizisten mit Alkoholproblem satt, die ständig Opern hören, nicht mal eine Pizza in der Mikrowelle warm machen können und sozial völlig inkompetent sind.“
Ihr Thomas Andreasson ist ein attraktiver, junger Typ, den man gerne zum Freund hätte. Und weil sie die männliche und die weibliche Perspektive zeigen wollte, hat Viveca Sten ihm Nora an die Seite geschrieben – groß, blond, gutmütig, etwas verträumt. Sie sollte der Autorin – klein, dunkelhaarig, sehr entschieden, strukturiert und organisiert – nicht zu ähnlich sein. Und die beiden Protagonisten sollten mal wirklich nur Freunde sein. ( ... )
Als ihr jüngster Sohn mit sechs Jahren endlich nachts durchschlief, habe sie plötzlich das Gefühl gehabt, ein neues Leben beginne – mit so viel mehr Zeit. „Da fand ich die Energie, Krimis zu schreiben.“ Auf die Idee brachten sie dieses spontane Bild vor Augen – die Leiche am Strand – die eigene Lust am Krimilesen, aber auch die klare Struktur, die Fakten, die stimmen mussten, die Auflösung am Schluss. All das kam ihr als Juristin entgegen. Ihr erstes Manuskript schickte sie an drei Verlage, deren Namen sie von Büchern im Wohnzimmerregal hatte.
Als von einem sofort die Zusage kam, hielt sie das für einen Scherz. Und nun, acht Jahre später, hat fast jeder auf Sandhamn ihre Krimis gelesen, es kommen Touristen, die im „Missionshaus“ unbedingt in Zimmer vier schlafen wollen, wie die ermordete Frau aus dem ersten Teil. Leser fordern, sie solle diesen egoistischen Ehemann Henrik doch auch einfach mal um die Ecke bringen. Und ein Plan führt quer über die Insel zu entscheidenden Schauplätzen der Krimireihe.
Es gibt die Orte alle, nur das in den Büchern schönste Haus der Insel, die Brand’sche Villa, ist ein Felsenhaufen mit weitem Blick über den Schärengarten. Das Haus soll sich jeder in seiner Fantasie selbst bauen.
Bisher erschienene Bücher von Viveca Sten:
Tödlicher Mittsommer
Tod im Schärengarten
Die Toten von Sandhamn
Mörderische Schärennächte
Beim ersten Schärenlicht
P.S.
Mit "Mörderische Schärennächte" bin ich eben fertig geworden.
(aus dem o.g. Link)Die Ermittlungen der Polizei führen zur Militärbasis auf der Insel Korsö, gleich neben Sandhamn gelegen. Nora Linde, Thomas’ Freundin aus Kindertagen, versucht mehr über das Militärlager herauszufinden, das den Küstenjägern jahrzehntelang als Standort diente. Gibt es etwas in der Vergangenheit, das nicht herauskommen soll?
Das Hauptthema, wie schon angedeutet, ist die Misshandlung von Soldaten, genauer gesagt von Rekruten - ein Problem, das nicht nur in der schwedischen Armee, sondern weltweit existiert: In der westdeutschen Bundeswehr z.B. 1963 in Nagold, in der gesamtdeutschen aus Coesfeld 2004 und Bad Salzungen 2013, in der sowjetischen bzw. jetzt russischen Armee gibt es im Rahmen des dort Dedowtschina genannten Systems der Misshandlung der eben Eingerückten durch die "Älteren" jedes Jahr Tote und in neutralen Ländern wie Schweden scheinen solche Unsitten eben auch nicht fremd zu sein - die Autorin hat sich zuvor gründlich belesen und schreibt, die geschilderten Fälle beruhten auf Tatsachen - was mich nicht wirklich wundert.
Dazu hat sie aber wirklich spannend geschrieben, so dass ich die ganzen 400 Seiten in anderthalb Tagen (davon ein Arbeitstag) verschlungen habe.